Corona-Krise: Du darfst dich auch mal schlecht fühlen!
- Sandra Maria
- 17. Dez. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Okt. 2021
In der Corona-Krise wachsen die Erwartungen an uns. Wir sollen gute Laune haben, in Weihnachtsstimmung kommen (ohne Weihnachtsmärkte und alles was sonst so dazu gehört) und gerade jetzt besonders aktiv sein. Ich finde: Das ist Unsinn!

Als Psychologin weiß ich natürlich, dass Krisen Menschen dabei helfen können neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln und mit Einsamkeit besser umgehen zu können, auch über die Coronakrise hinaus. Das will ich auch gar nicht anzweifeln. Ich habe Vertrauen, dass wir diese Krise meistern und sie auch wieder vorbei geht. Ich möchte heute gerne einen ehrlichen und sehr persönlichen Kommentar zu meiner aktuellen Stimmungslage während der Pandemie mit euch teilen.
Lookin’ for that Christmas spirit
Ich sehe auf Instagram ständig Posts von Leuten in ihrem perfekt weihnachtlich dekorierten Wohnzimmer mit geschmückten Christbäumen. Das ist frustrierend für mich zu sehen, denn, ich fühls so gar nicht.

Es ist Mitte Dezember und dieses Jahr komme ich so gar nicht in Weihnachtsstimmung. Das macht sich auch auf meinem Feed bei Instagram, wo ich mich sonst kreativ und emotional ausdrücke, bemerkbar: Meine Bilder sind noch herbstlich gefärbt. Ich fühle mich einfach nicht danach jetzt Weihnachtsbilder zu posten, weil sich für mich der Dezember 2020 nicht nach Weihnachten anfühlt. Jetzt Bilder Es käme mir falsch vor und deshalb lasse ich es.
Von vielen Seiten höre ich im Moment, was ich mit der “zusätzlichen” gewonnen Zeit Tolles anfangen sollte, wie man sich der dröhnenden Langeweile entgegen stemmen kann. Blogger*innen teilen Tipps und Tricks wie man gut durch die Quarantäne kommt: Koch doch mal wieder was Anständiges, fang an Yoga zu praktizieren oder bereite dir einen leckeren Kurkuma Latte zu. Klar, das mache ich auch und daran ist prinzipiell auch nichts Falsches. Ich teile gerne meine Tipps mit anderen und profitiere auch selbst oft von den Ratschlägen anderer. Im Moment ist es aber so: Ich sehe auf Instagram ständig Posts von Leuten in ihrem perfekt weihnachtlich dekorierten Wohnzimmer mit geschmückten Christbäumen. Das ist frustrierend für mich zu sehen, denn, ich fühl's so gar nicht.
Erwartungen statt Weihnachtsstimmung
Dabei fällt meiner Meinung nach zu oft unter den Tisch, dass Krisen scheiße sind – dass es vielen Menschen in beschissenen Zeiten eben genau so geht: Beschissen.
Mich beschäftigt gerade weniger das anstehende Weihnachtsfest als die Furcht vor dem Coronavirus und die Sorge vor der Zukunft danach im neuen Jahr. Und während ich gerade noch über steigende Infektionszahlen nachdenke gesellt sich auch noch die Angst dazu während der Krise an den gesteigerten Erwartungen zu scheitern. Ich verspüre den Zugzwang in mir jetzt aktiv zu werden. Es ist emotional anstrengend, dass jetzt anscheinend besonders viel von mir erwartet wird – sowohl beruflich, als auch im Privatleben. Beruflich appelieren Unternehmen jetzt an ihre Mitarbeiter*innen besonders kreativ zu sein, neue Wege zu gehen, diese Krise zu meistern. Privat soll ich mental gesund bleiben, meine Kontakte reduzieren und am Besten noch jedes DIY für weihnachtliche Dekorationen mitmachen.
Krisen wurden schon immer als Chance zum Wachstum erklärt. “Am Ende werden wir stärker sein als vor der Krise”, das höre ich ständig.
Dabei fällt meiner Meinung nach zu oft unter den Tisch, dass Krisen scheiße sind – dass es vielen Menschen in beschissenen Zeiten eben genau so geht: Beschissen. Unsere Welt ist weitestgehend auf die eigenen vier Wände und den Supermarkt um die Ecke zusammengeschrumpft. In gewisser Weise hat es ein Virus geschafft, das Raum-Zeit-Kontinuum aus den Angeln zu heben: Je mehr sich unsere persönliche Welt in sich zusammenzieht, desto zäher zieht sich die Zeit in die Länge – wie ein Kaugummi, auf dem man stundenlang herum gebissen hat.
Die Leidenshierarchie nervt
Vor Kurzem publizierte der Journalist Jochen-Martin Gutsch auf „Spiegel Online“ eine Beschwerde über die neue Homeoffice-Elite unter dem Titel „Heult leise!“. [1] Wer im warmen Stübchen sitze und bei vollem Gehalt bequem von Zuhause aus arbeiten könne, der solle sich gefälligst nicht beschweren, schrieb Gutsch sinngemäß. Nur überlastete Ärzte und Krankenhauspersonal, „virenumwehte Kassiererinnen“ und Menschen in existenziellen Nöten hätten gerade das Recht, Trübsal zu blasen. Gewisse Sympathie hegt der Autor nur noch für die Homeoffice-Elite, die zuhause Kinder betreuen muss. Das sei zwar stressig, aber durchaus machbar. Nicht einmal an dieser Front kann ich punkten. Ich habe keine Kinder. Nicht mal einen betreuungsbedürftigen Partner.
Mit vielem hat der Autor wohl recht. Dennoch gefällt mir die Leidenshierarchie, die der Text aufmacht, nicht. Das ist ungefähr so, als würde man jemandem, der in Deutschland am Existenzminimum lebt, zurufen, er solle sich nicht so anstellen und an die hungernden Kinder in Afrika denken – oder einem Menschen, der gerade eine Lebenskrise durchmacht, sagen: „Reiß dich doch mal zusammen!“ Irgendwem geht es immer schlechter – und der Hinweis darauf, macht die eigene Situation selten erträglicher.
Gefühle der Verzweiflung zulassen
Versteh mich bitte nicht falsch, ich plädiere nicht dafür, dass wir kollektiv in eine depressive Lethargie verfallen sollten. Auch Weihnachten werde ich nicht in der Embryonalstellung auf dem Sofa liegend ignorieren und dort ausharren, bis die Krise vorüber ist. Ich glaube nur, dass es wichtig ist, das Gefühl der Verzweiflung gelegentlich zuzulassen – sich einzugestehen, dass die Situation gerade scheiße ist und es ok ist, sich gerade schecht zu fühlen – und eben nicht andauernd Lust darauf zu haben, gerade jetzt besonders aktiv zu sein [2].
Ich glaube nur, dass es wichtig ist, das Gefühl der Verzweiflung gelegentlich zuzulassen – sich einzugestehen, dass die Situation gerade scheiße ist und es ok ist, sich gerade schecht zu fühlen – und eben nicht andauernd Lust darauf zu haben, gerade jetzt besonders aktiv zu sein.
Dabei verhält es sich ähnlich wie bei einem Trauerfall. Nach einem Modell der Psychologen Margaret Stroebe und Henk Schut, bewegt sich eine Person, die einen geliebten Menschen verloren hat, zwischen zwei Polen: Tod und Verlust einerseits, Gegenwart und Zukunft auf der anderen Seite. Beides ist dabei wichtig, um die persönliche Krise zu meistern [3] [4].
Die Corona-Krise ist da und wohl oder übel müssen wir da jetzt durch. Es hilft ja nichts. Ich glaube, ich mache mir jetzt erstmal einen Kurkuma Latte.
[1] Gutsch, J. (2020). Heult leise! Spiegel online. Verfügbar unter: https://www.spiegel.de/psychologie/corona-krise-und-die-mittelschicht-heult-leise-a-f1d38ade-7a97-4e0c-9499-955560dd83b2
[2] Larsen R. (2016). Psychosoziale Situation von Patienten, Angehörigen und Behandlungsteam. Anästhesie und Intensivmedizin für die Fachpflege, 515–527. https://doi.org/10.1007/978-3-662-50444-4_37
[3] Stroebe, Margaret S./Schut, Henk (1999). The dual process model of coping with bereavement. Rationale and description. In: Death Studies. 23. Jg. (3). S. 197-224. DOI: 10.1080/074811899201046.
[4] Stroebe, Margaret S./Schut, Henk (2010). The dual process model of coping with bereavement. A decade on. In: Omega. 61. Jg. (4). S. 273-289. DOI: 10.2190/OM.61.4.b.
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