"Ich hör mich nicht."
- Sandra Maria
- 14. Feb. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Aug.
Wie wir uns selbst zum Verstummen bringen (und wie wir wieder zuhören lernen)
Kurze Triggerwarnung: Wenn du diesen Text liest und dich an mindestens drei Stellen ertappt fühlst: Willkommen im Club. Du bist nicht falsch, du bist nur menschlich. Und vermutlich ziemlich gut darin geworden, dich selbst zum Schweigen zu bringen.
„Ach, so schlimm war’s doch gar nicht … oder?“
Kennst du diesen Moment, wenn du verletzt bist und bevor du überhaupt „Aua“ sagen kannst, bist du schon damit beschäftigt, dem anderen zu erklären, warum du wahrscheinlich überreagierst? Oder du redest mit jemandem über ein Thema, das dich belastet und plötzlich hörst du dich sagen: „Ich weiß, anderen geht’s schlimmer“, „Das ist bestimmt nicht böse gemeint“, „Ich übertreib sicher gerade.“
Spoiler: Du entwertest dich selbst. Elegant, effizient, oft unbewusst – und mit erstaunlicher Regelmäßigkeit. Ich kann ein Lied davon singen. Wahrscheinlich sogar ein ganzes Album.
In diesem Beitrag geht es darum, wie wir uns in Beziehungen selbst invalidieren – und wie wir anfangen können, uns wieder ernst zu nehmen, ohne dabei dramatisch, egozentrisch oder kompliziert zu sein (weil das sind wir ohnehin schon, und das ist völlig okay).
„Du bist nicht zu sensibel. Du bist sensibel. Punkt.“ Und das ist keine Schwäche – das ist ein verdammt gutes Warnsystem.
Was heißt eigentlich „sich selbst validieren“?
Psychologisch gesprochen bedeutet Selbstvalidierung: Gefühle und Erfahrungen als real und berechtigt anzuerkennen.
Es heißt nicht: „Ich habe recht.“ Es heißt: „Ich bin wichtig.“ Es heißt nicht: „Du bist schuld.“ Es heißt: „Ich spüre etwas – und das zählt.“
Selbstvalidierung ist ein Grundbaustein emotionaler Sicherheit. Ohne sie fühlen wir uns innerlich haltlos, abhängig von äußeren Reaktionen, stimmungsabhängig in unserer Selbstwahrnehmung. Mit ihr können wir traurig sein, ohne uns zu verurteilen. Wütend sein, ohne zu explodieren. Und lieben, ohne uns selbst zu verlieren.
Aber warum ist das so schwer?
👉 Weil viele von uns gelernt haben, dass bestimmte Gefühle unbequem sind – für andere. 👉 Weil wir Angst haben, bedürftig zu wirken. 👉 Weil wir Beziehungen retten wollen, auch wenn wir uns dabei selbst verlieren.
6 Wege, wie du dich in Beziehungen selbst entwertest
(und was du stattdessen sagen könntest)
1. Minimizing your emotions
„Ich weiß, ich bin wahrscheinlich zu sensibel …“ 🚫 Falsch. Du bist nicht zu sensibel. Du bist sensibel. Punkt.
💡 Stattdessen:„Ich merke, dass mich das gerade traurig macht – auch wenn ich nicht ganz verstehe, warum.“
2. Doubting your own experience
„Vielleicht hab ich das ja nur falsch verstanden …“ Willkommen im mentalen Gaslight-Museum. Eintritt frei, aber du zahlst mit deinem Selbstwert.
💡 Stattdessen:„Ich hab’s so erlebt – das heißt nicht, dass es deine Absicht war, aber es hat mich verletzt.“
3. Excusing their hurtful behavior
„Sie/er meint es bestimmt nicht so …“ Natürlich nicht. Und trotzdem war’s doof. Beides kann wahr sein.
💡 Stattdessen:„Ich weiß, dass du es nicht böse meinst – und trotzdem hat es bei mir etwas ausgelöst.“
4. Apologizing for your feelings
„Sorry, dass ich so reagiere …“ Wofür genau entschuldigst du dich? Fürs Fühlen?
💡 Stattdessen:„Das bringt gerade viel in mir hoch – ich versuche, gut damit umzugehen.“
5. Comparing yourself to others
„Ich hab kein Recht, mich zu beschweren – andere haben es viel schlimmer.“ Ja, und andere haben’s besser. Das Leben ist kein olympisches Leidensturnier.
💡 Stattdessen:„Mein Schmerz ist real, auch wenn es anderen vielleicht anders oder schlimmer geht.“
6. Negative & critical self-talk
„Ich bin einfach zu anstrengend.“ Korrektur: Du hast Bedürfnisse. Und das ist … menschlich. Nicht dramatisch, nicht peinlich, nicht falsch.
💡 Stattdessen:„Ich bin okay, auch wenn ich manchmal viel fühle.“
Wie echte Selbstvalidierung aussieht
(in Beziehungen und sonst auch)
– Du nimmst dein eigenes Gefühl wahr, ohne es sofort analysieren oder rechtfertigen zu müssen. – Du erlaubst dir, dein inneres Kind auf den Schoß zu setzen, statt es in den Keller zu sperren. – Du sprichst aus, was du brauchst – auch wenn deine Stimme zittert. – Du wirst weich, wo du früher hart warst. Und klar, wo du früher geschwiegen hast.
„Der innere Kritiker ist laut. Aber du darfst die Lautstärke wieder selbst regeln.“
Selbstvalidierung ist kein One-Liner. Es ist eine Praxis. Ein innerer Muskel, der Training braucht. Und manchmal ist der erste Schritt nur ein kleines inneres Nicken. So was wie:„Ja, das tut gerade weh. Und ich darf fühlen.“
Zum Mitnehmen
(kein Coffee-to-go, aber vielleicht ein bisschen mehr Mitgefühl für dich selbst)
Du darfst fühlen, was du fühlst. Auch wenn’s unangenehm ist. Du darfst Dinge aussprechen, auch wenn andere sie nicht sofort verstehen. Du darfst da sein – nicht perfekt, nicht immer logisch, aber echt.
Und wenn du das nächste Mal wieder innerlich denkst:„Ach, vielleicht war’s doch nicht so schlimm“… dann nimm dich kurz in den Arm. Und sag:„Doch. Vielleicht war’s genau das. Und das darf sein.“
„Du bist kein Problem, das gelöst werden muss. Sondern ein Mensch, der gehört werden will.“
📚 Psychologische Quellen & Impulse
1. Kristin Neff – Selbstmitgefühl
– Ihre Forschung zeigt, dass Selbstmitgefühl (self-compassion) deutlich mit emotionaler Resilienz, geringerer Scham und mehr Beziehungszufriedenheit zusammenhängt.– Ein zentrales Element: "Mindful acknowledgment of pain, without over-identification."– Passend im Beitrag z. B. bei: „Ich merke, dass mich das traurig macht – auch wenn ich nicht weiß, warum.“
📖 Neff, K. D. (2003). The Development and Validation of a Scale to Measure Self-Compassion. Self and Identity, 2(3), 223–250.
2. Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)
– Entwickelt von Marsha Linehan für Menschen mit Borderline – aber relevant für alle mit starken Emotionen.– DBT arbeitet gezielt mit emotionaler Validierung als Gegengewicht zu dysfunktionalen Bewältigungsstrategien.– Wichtige Skills: "Radikale Akzeptanz", "Gefühlsbeobachtung ohne Bewertung", "zwischenmenschliche Wirksamkeit".
📖 Linehan, M. M. (1993). Cognitive-Behavioral Treatment of Borderline Personality Disorder.
3. Schemaarbeit (Young et al.)
– Selbst-Invalidierung entsteht oft durch sog. „defekte Schemata“ wie:– „Ich bin zu viel.“– „Ich darf keine Bedürfnisse haben.“– „Andere sind wichtiger als ich.“– Ziel: Die Stimme des „inneren Kritikers“ erkennen und eine gesunde, fürsorgliche Gegenstimme entwickeln.
📖 Young, J. E., Klosko, J. S., & Weishaar, M. E. (2003). Schema Therapy: A Practitioner's Guide.
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